Bodo Ramelow droht mit Parteiaustritt: Unter anderem „fehlt eine lebhafte Diskussion zu Ostdeutschland“

Der frühere Ministerpräsident Bodo Ramelow geht in einem Text auf Konfrontation mit der Linken. Er fordert eine Grundsatzdebatte über die Ausrichtung der Partei.
Tagebücher sind Privatsache, nicht aber das von Bodo Ramelow, dem ehemaligen Regierungschef von Thüringen, dem bundesweit ersten Ministerpräsidenten, den die Linkspartei gestellt hat. Er führt ein öffentliches politisches Tagebuch. Der neueste Eintrag vom Mittwoch ist sehr lang – etwa 15 A4-Seiten, die ein tiefes Zerwürfnis mit seiner Partei und den dortigen Richtungskämpfen nahelegen – und Ramelow spielt dort mit dem Gedanken eines Parteiaustritts.
Der Satz, der in den politischen Redaktionen nun für Aufregung sorgt, kommt kurz vor dem Ende: „Heute ist mir beim Aufwachen ein Satz durch den Kopf gegangen, der mich nicht loslässt: Bin ich dabei, die Partei zu verlassen – oder verlässt meine Partei gerade mich?“
Dieser Schritt wäre ein politischer Hammer. Gilt Ramelow doch als eine der Hauptfiguren jenes Parteiflügels der Linken, der ruft: Mehr Pragmatismus wagen, mehr Bürgernähe, mehr Realitätsnähe. Er gilt als ein Kritiker der isolationistischen jungen Genossen, die laut, woke und ideologisch sind – oft auch radikal bis zum Extremismus.
In seinem Text sieht Ramelow auch ganz klar einen Ost-West-Konflikt in seiner Partei. Er schreibt: „Ja, wir haben uns drastisch vergrößert. Ja, wir sind eine stärker westdeutsch geprägte Partei geworden. Ja, mir fehlt eine lebhafte Diskussion zu Ostdeutschland und was wir aus den neuen Bundesländern an Erfahrung einbringen können.“
Zuletzt war Ramelow durch die Aktion Silberlocke aufgefallen, bei der er gemeinsam mit Gregor Gysi und Dietmar Bartsch als die alten weißen Männer der Partei drei Direktmandate für die Linke bei der Bundestagswahl erobern wollte, damit die Partei wieder ins Parlament einziehen kann, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht schafft. Er und Gysi holten das Mandat, Bartsch nicht. Die Linke zog auch so überraschend stark mit fast neun Prozent in den Bundestag ein.
Bodo Ramelow beklagt die Verluste durch die Abspaltung des BSWDoch in diesem Erfolg sieht Ramelow nicht nur Stärke: Er zeigt in seinem Text auf, wie stark er zum Beispiel ganz persönlich beim Wahlvolk punkten konnte, aber er zeigt auch, wie viel die Linke durch die Abspaltung des BSW um Sahra Wagenknecht verloren hat.
Er schreibt, dass die Linke in Thüringen zwar 13,1 Prozent der Stimmen sowie vier Direktmandate gewonnen hat. Aber er schreibt auch, dass sie als vorherige Regierungspartei ganz klar viele Stimmen verloren hat. „Nüchtern betrachtet hat die abgespaltene, von Katja Wolf angeführte Liste des BSW näherungsweise so viel gewonnen, wie wir verloren haben.“
Die Beschreibung seines eigenen Erfolgs klingt wie eine Warnung an seine Partei – jedenfalls, wenn der Gedanke vom Parteiaustritt gleich mitgelesen wird. Ramelow schreibt: „Bei der Direktwahl in meinem Wahlkreis konnte ich als ehemaliger Ministerpräsident mit 42,2 Prozent der Stimmen sogar in absoluten Zahlen und prozentual zulegen und habe mein persönlich bestes Ergebnis aus der Wahl davor noch einmal steigern können. Welch ein Widerspruch, wenn gleichzeitig die Partei durch Spaltung massiv verloren hat, aber ihr Spitzenkandidat im Direktwahlergebnis noch zulegt!“
Ist Ramelow also auf Abschiedskurs? Er selbst beantwortet die Frage in seinem langen Text nicht direkt, schreibt aber bis zum Ende von einem gemeinsamen Wir, das für eine bessere Partei kämpfen muss. Seine Kernforderung beschreibt er folgendermaßen: „Die Linke in Bewegung darf nicht zu einer Bewegungslinken werden, die sich selbst isoliert! Oder anders gesagt: Parteiarbeit muss selbstverständlich Spaß machen. Man muss Freude daran haben, jeden Tag für und in dieser Partei zu arbeiten. Aber wir wollen doch keine Spaßpartei werden. Wir wollen auch keine Elitenpartei sein. Wir wollen auch keine Partei der ‚besseren Menschen‘ werden, sondern eine Partei, die an der Verbesserung der Lebensumstände für alle Menschen arbeitet! Nicht nur eine Partei, die sich bewegt, sondern eine Partei, die etwas bewegt – nämlich etwas zum Guten für jeden Menschen. Da gilt mein Leitmotiv: Drum bleibe im Land und wehre dich täglich!“
Berliner-zeitung